Alle allein zu Haus
oder "4 ist kleiner als 5"
„In Italien sank die Rate um eine Viertel, in Spanien sogar um ein Fünftel“
Sandra Pfister, Deutschlandfunk Wirtschaft am Morgen, 10.3.21, 8:35 Uhr
Keine Angst: In diesem Text wird es nicht um Bildungspolitik gehen.
Und natürlich ist es absolut unfair, der armen Frau Pfister ein in einer Live-Sendung vor die Wand gefahrenen Halbsatz um die Ohren zu hauen. Streng genommen sogar nur das Wort „sogar“. Ohne dieses Wort wäre alles wunderbar.
Natürlich aber konnte ich auf dieses Zitat nicht verzichten, da ich mir bei der allmorgendlichen Färsenfütterung um den heute, in meiner Funktion als Eigenmarke Kai Blasberg, zu schreibenden Text Gedanken gemacht habe.
Da kam dieser Satz wie rohes Fleisch vor mein hungriges Glossisten-Maul.
Seitdem ich mich ausschließlich und nur noch um mich selbst kümmern soll oder darf (Spötter werden jetzt fragen, was ist anders als sonst?) höre ich noch viel mehr Audiobrocken aus DLF, Podcasts, Hörbüchern und seit neuestem Clubhouse.
Eigentlich bin ich auf Daueraufnahmefunktion gepolt.
Ab und zu spreche ich dann auch selbst.
Audio, so der subsumierende Begriff des Ganzen, war immer mein Medium und wächst gerade zu noch fundamentalerer Bedeutung in meinem Leben.
Ich habe mich immer gerühmt, meinen als Kind gehegten Berufswunsch umgesetzt zu haben.
Aber das stimmt eigentlich erst jetzt.
Ich wollte Fußballreporter werden. Geprägt wurde ich, wie eigentlich alle meiner Boomer-Generation dem Reporterwesen zugeneigten Mitstreiter, von Mikrofonlegende Herbert Zimmermann, der durch „Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen, Rahn schießt...“ -sie wissen schon- berühmt wurde.
Jeder Sportjournalist und ganz sicher auch viele, viele andere Journalisten werden letztlich ihr Tun auf diesen Mann zurückführen können.
In einer stillen Zeit vollbrachte er, durch seine mitreißende ausschließlich verbale Darstellung eines noch mitreißenderen Ereignisses, Großes an der deutschen Seele.
Natürlich wusste er das nicht und ganz sicher hatte er das auch nicht vor.
Herbert Zimmermann hätte allerdings der Faux pas von Sandra Pfister damals zu anders gearteter Unsterblichkeit verholfen.
Dies, damals so gesagt bei diesem Ereignis, wäre genauso ins kollektive Gedächtnis gewandert wie seine „Tor-Tooor-Toooooor-Euphorie“.
Denn Zimmermann war alleine, allen gegenüber.
Pfister ist alleine vor praktisch Niemandem.
Vereinsamung durch Kommunikation
Im Kommunikationszeitalter sind wir alle alleine.
Wir rezipieren nach eigener Auswahl.
Wir hören was wir wollen.
Wir sehen wann wir wollen.
Wir sagen wie wir wollen.
Und verstehen einander nicht.
Nicht mehr.
Kontexte gehen verloren, Synapsen sterben ab.
Die Flut des angebotenen Inhalts wächst und wächst.
Die Einordnung findet nur noch bei zutiefst Interessierten statt.
Die, die sich für gebildet hielten, verlieren den Boden unter den Füßen.
Empörung ist das neue Handelsgut.
Wissen gibt es keines mehr.
Alles ist PR. Nichts mehr stimmt.
Oder alles stimmt.
Alles egal.
Alles gleich!
Horror?
Ja. Horror!
Unveränderbar?
Nein. Ganz sicher nicht.
Denn wir sind reich. Beschenkt. Wissend. Könnend.
Aber:
Wir Deutsche lieben das Symptom.
Wir könnten Wochen und Monate über das Geschehene sprechen.
Denn was geschehen ist, kann man nicht mehr ändern.
Muss man dann ja auch nicht.
Kann man nix machen!
Und wir schweigen gerne über die Entstehung.
Wir schwadronieren über Ergebnisse. Und kennen die Gründe nicht.
Oder wollen sie nicht kennen.
Erst zuletzt in einem „Gespräch“ zwischen Sascha Lobo und CDU-Fraktionschef Brinkhaus bei Markus Lanz in mattem Glanz zu besichtigen. Empörend abweisend seitens dessen, was man Macht nennt, empörend kläglich in der Hilflosigkeit dessen wie sich Macht darstellt.
Keine Forderungen
Die Begründung einzufordern ist anstrengender als Fertiges zu kommentieren.
Deswegen schauen die Menschen gerne Nachrichten.
Allein das Wort. Nach-richten.
Danach-richten heißt dann Talk-Show.
Die Labervariante nach den Nachrichten.
Und wir meiden Reportagen. Und Dokumentationen.
Dinge, die Zusammenhänge erklären.
Von wissender Stelle. Ohne PR-Hintergründe.
Just intelligence.
Zumindest werden die Menschen davon systematisch per Programmplanung ferngehalten.
Denn finden kann man all das. Irgendwo. Irgendwann. Irgendwie.
Die teuren Hauptprogramme aber meiden all das.
Und man sollte denken, reicht es denn nicht, wenn privat organisierte Medien sich dem Flachsinn widmen?
In einer Gesellschaft, in der dreimal so viele über 60jährige an demokratischen Wahlen teilnehmen wie unter 30jährige (mit wachsender Tendenz zum Alter) werden wir uns nicht erlauben können, an der Atomisierung von Reichweite von Wissensvermittlungsmedien aktiv mitzuarbeiten.
Wir werden uns nicht erlauben können, nicht jung zu denken und nicht für die Jungen mitzudenken. Weil wir Alten in der Mehrheit sind. Aber nicht altern.
Alter ist nicht zumachen und verschließen, Alter ist Wissen, Erfahrung, Können, gestalten, mahnen, fordern.
Soll heißen:
Die öffentlichen Medien gehören uns. Dem Volk. Und Volk hat kein Alter.
Von daher sollten wir für die öffentlichen Medien andere Anforderungen formulieren, als sich wie in den 90ern in einem nicht zu gewinnenden Wettbewerb um schiere Zuschauergunst, die nur in Zahlen ausgedrückt wird, zu profilieren.
Hier muss Politik anders Einfluss nehmen als nur Gremien zu besetzen, die die Architektur der Fünfziger Jahre atmen.
Und hier muss Politik auch andere Expertise zur Rate ziehen als gar nicht oder wie immer nur über Verbände, die zum kleinsten gemeinsamen Nenner in der Lage sind.
Nicht noch mehr Kanäle „more of the same“, sondern viel weniger, viel bessere.
Eine Verdichtung von Kommunikation und eine Spezialisierung auf Kompetenzen.
Nicht breit. Tief!
Inhalte nicht nach angenommenem Lebensalter filtern, sondern Angebote an Alle formulieren.
Die Menschen zusammenrufen statt sie auseinander zu treiben und den Feinden unserer Gesellschaft zu überlassen, statt selbst für eine Heimat für sie zu sorgen.
Einschaltquoten werden von Menge an Kontakten zur Preisermittlung werblicher Kommunikation gemessen und sollten auch nicht mehr veröffentlicht werden. Sie sind kein Leistungsnachweis sondern spezifisch erhobene Daten für Fachleute. Der Gehalt einer Sendung ist wichtig für die Gesellschaft und nicht deren messbares Ergebnis.
Diese Diskussion ist übrigens eine aus den Achtziger Jahren.
Vielleicht war sie immer richtig!
Jetzt sollten wir sie führen.
Um Marktanteile zu generieren und Karrieren zu befördern, ist das reine Numbercrunching schlicht eine Missachtung des öffentlichen Auftrages.
Wir sind in der Lage, den Menschen massenhaft das Zuhören, das Begreifen, das Interessiert-sein (wieder) beizubringen, zu lehren. Auch das ist und war Auftrag.
Ja. Das sendungsbewusste Vorgehen ist unabdingbar in der Zielerreichung bei Kommunikation.
Ohne dieses Wollen, ohne dieses Ziel, ohne das Begreifen, dass der Marktliberalismus in den öffentlichen Medien einen viel zu hohen Preis fordert und das System diese Art von Wettbewerb eben genau nicht will. Oder nicht wollen sollte.
Wir können uns trennen von Gewesenem. Die Strukturen Deutschlands auch im Mediensektor sind veraltet und weisen in keinerlei Zukunft. Sie atmen Stillstand und werden immer weniger den teils unbewussten Wünschen gegenwärtiger und kommender Generationen gerecht.
Sie sind teuer, ineffizient und nur zufällig gut.
Teuer können sie bleiben. Das eh!
Dann kann Sandra Pfister auch die neue Carmen Thomas werden.
Verstehen Sie nicht?
Fragen Sie mich! :-)
P.S.: ich höre jeden Morgen DLF, liebe die DLF- Audiothek, arte, Kulturwelt bei 3sat, Die Sportschau, Berlin direkt, Die Sport Reportage
Comments