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  • AutorenbildKai Blasberg

Stolz


Stolz!


Der Mensch ist das einzige Wesen, dessen Bedürfnisse steigen, wenn sie befriedigt werden.

Henry George


Ein Plädoyer von Kai Blasberg



Gegen meine Art verfolgte ich an diesem Montag eine Folge aus der

Talk-Show „Hart aber fair“.

Durch eine Besprechung in meiner Leib-und Magen-App, ja, sowas gibt es, der App der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wurde ich auf eine Reportage aufmerksam, die die ARD vor dieser Talkshow zur Ausstrahlung brachte.

Die ehemalige Sportschau-Moderatorin Jessy Wellmer, von den Granden der öffentlich-rechtlichen Anstalten als kommende Tagesthemen-Moderatorin auserkoren, soll sich im Vorfeld ihrer Bestallung im ernsten Fach, Gesellschaft und Politik, warmlaufen und die nötige Expertise draufschaffen.

Da sie aus Mecklenburg-Vorpommern stammt, so dachte man sich, sei das Thema Ost-Verdruss ein gar ersprießliches.

Ist man nämlich hier auch fast 34 Jahre nach dem Mauerfall seitens der Anstalten der Ansicht, dass die Selbstbeschäftigung mit sich und der vernarbten Kränkung durch Andere allemal Thema genug sei, um wiederkehrende, und gedacht bewältigte Konflikte am köcheln zu halten.

Denn nichts ist schöner als Probleme, die sehr wohl bekannt sind.

Hier kann dann jeder mitreden und seinen, mitunter gar nicht immer relevanten Senf dazu geben.

Weil das in einer Reportage, in der die älteren Interviewten Kränkungen angaben, die Jüngeren jedoch, mangels Vergangenheit, derselben nicht feststellen mochten, musste in der anschließenden Talk-Runde das Problem vergrößert werden.

Denn - gestählte Talk-Veteranen wie wir wissen:

Probleme werden in diesen Runden maximal besprochen und in verschiedene Räume gestellt, beileibe aber, bitte schön, nicht gelöst.

Wo kämen wir denn dahin, wenn quatschen auch noch zu etwas führen würde.

Die Runde war überwiegend mit hochprivilegierten Ostdeutschen besetzt und es wurde Bekanntes und immer wieder über mehr als drei Dekaden Geschlucktes wiedergekäut.

Unvermeidbar in Sachen Osten: die AfD.

Die Perfidie dieser Truppe ist ebenso bekannt wie alles andere, trotzdem müssen sie dabei sein, wenn man alte Klischees verhandelt werden.

Von der Benachteiligung der anständigen Leute, das nicht enden wollende Jammern über den Verlust der Wertschätzung allen Deutsch-Seins und dem Untergang der bürgerlichen Werte, die nie benannt werden und die am meisten von diesen Intelligenzterroristen selbst bedroht sind.


So weit, so wie immer.






Doch eins machte mich, leicht vor mich hindämmernd, im Verlauf der Sendung hellwach:


STOLZ!


Er war in aller Munde; gütig-gönnend aus den beiden Westmündern, fordernd beleidigt aus denen der Ostler, die sich selbst allzu bereitwillig in dieses falsche Raster aus Gründen der Sendungs-Raison hatten pressen lassen.


STOLZ also.

Ein Wort, mit dem ich, zugegeben, persönlich wenig bis gar nichts anfangen kann, weil ich der festen Überzeugung bin, dass Stolz ein sehr kleines Gefühl der Abgrenzung und schädlichen Selbstvergewisserung ist und eigentlich nichts als Ärger macht.


Stolz stellt ruhig. Stolz macht klein sang schon Grönemeyer in den Achtzigern.

Jetzt soll er also wieder da sein. Und... . Ja was eigentlich?


Die Sendung zeigte auf alarmierende Weise, wie die Sammelbewegung der Gekränkten, die AfD, mittlerweile die Sprachhoheit über fast alle Themen in diesem Lande besitzt, sobald sie sich aufrafft, Stellung zu nehmen. Und Möglichkeit dazu bekommt.


Der thüringische CDU-Fraktionschef Voigt war es, der vor wenigen Tagen der Rechtsaußen-Partei gesetzgeberische Macht verlieh. Auch er appellierte für mehr Stolz.

Auf was auch immer.


Kathrin Göring-Eckert, langjährige Vizepräsidentin des deutschen Bundestages und mithin wahrhaft keine Verliererin der Einheit, schaffte es als aufgeklärte Grüne ebenso stolz sein zu wollen. Aus was, vermied auch sie zu sagen.


Ist Stolz doch laut Duden die Freude, eine Leistung erbracht zu haben, oder, schlimmer, überheblich und abweisend.


Nur einmal Ersteres betrachtet: auf was soll der Ostdeutsche, der Westdeutsche, der

Mitteldeutsche, der Süddeutsche oder der Deutschdeutsche denn bitte stolz sein?

Und wer bitte, wenn er dies noch mit Ach und Krach beantwortet, soll mit diesem Stolz genau was machen?


Wie kann denn niemand merken, dass wir in einen Tonfall abrutschen, den wir uns aus vielerlei Gründen nicht leisten sollten.


Ich kann nicht stolz sein auf den Osten. Das sage ich als Mann einer Frau thüringischer Herkunft.

Ich kann nicht stolz sein auf Bayern, obwohl ich dort 30 Jahre Spitzensteuersatz erwirtschaftet und die CSU ertragen habe.

Ich kann nicht stolz sein auf Deutschland, seine Geschichte, seine Fahne oder seine Nationalmannschaft. Und ich singe die Hymne mit.




Ich könnte stolz sein. Aber nur auf mich.

Denn nur ich bin meine Tat.

Denn nur ich verantworte das, was ich tue.


Alles andere liegt nicht bei mir.


Der Stolz, in den sich so viele jetzt reinreden lassen, soll kompensieren.

Das haben alle Diktaturen zu jeder Zeit gewusst.

Der Stolz ist die Betäubung. Der Stolz wird benutzt.

Stolz aber erzwingt Niederlagen. Ohne Not.

Wo ein WIR stolz ist, gibt es auch ein DIE!

Ärger, Stolz und Neid sind unsere wahren Gegner hat der Dalai Lama gesagt.

Er kennt die AfD gar nicht.


Aber wissen sie was?

Es gibt ein Wort, das dieses furchtbare, Millionen von Menschen auf dem Gewissen habende Wörtchen Stolz ersetzt.


Froh.


Ja. Froh macht Sinn. Den sogenannten Frohsinn.


Und hier kommt der Kanzler ins Spiel. Er nannte die AfD die Partei der schlechten Laune. Und wollte so die Menschenfeinde kleinreden.

Ja: die AfD und ihre Wähler haben durchweg schlechte Laune.

Aber das ist nicht der Grund, wie immer bei Politikern unbenannt, sondern das Symptom.


Kann ich nicht froh sein, dann habe ich zumindest keine gute Laune.

Höchstens mal, wenn ein Asylantenheim brennt.


Soll und muss ich aber stolz sein, dann ist das anstrengend, denn ich muss ja doch irgendwie begründen, worauf und warum.

Das macht Stress. Und alles andere als froh.


Lasst uns also froh sein, Deutsche zu sein.

Im Osten, im Süden, im Westen, im Norden.

Wir hier oben sind das übrigens am meisten, wie man so hört.

Lasst uns froh sein, wenn die Nagelsmänner bald wieder Spiele gewinnen.

Lasst uns frohen Mutes, auch so eine Idee, die Dinge erledigen, die nun mal sein müssen.

Vom Heizungsgesetz bis zur Einsicht, das N-Wort nicht zu sagen.

Sagt, wenn es nicht passt. Aber nicht wie dieser Malermeister, der zur besten Sendezeit vor Millionen klagt, man dürfe ja nichts mehr sagen, während er genau das tut.


Lasst uns dann aber auch gegenseitig ansehen, dass wir froh sind.


Denn wenn es nach dem stahlblauen Chrupalla, der eisigen Weidel und dem hämischen Brandtner geht, ist Frohsinn das Erste, was uns final verloren geht, wenn wir unter die Rechtradikalen gefallen sind. Lasst es uns bitte nicht versuchen.


Den allermeisten, zumal denen, die das hier lesen, geht es gut.

Lasst uns froh darüber sein.

Auch darüber, helfen zu können.

Denn fast all wären froh, an unserer Stelle zu sein.

Lest den ersten Satz von Henry George nochmal.


Und jetzt seid froh, dass es vorbei ist.


P.S.:

„Aus ´nem traurigen Arsch kommt nie ein fröhlicher Furz“ hat Luther mal gesagt.

Übrigens auch in Thüringen.


P.P.S.: warum heißt es Mitteldeutscher Rundfunk? Und wo sendet der Ostdeutsche?

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