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  • AutorenbildKai Blasberg

Paolo pinkelt noch


In diesen schönen Sommertagen irrt der Verfasser durch die bundesdeutsche Vergangenheit.

Nach einem fast unverwelkten Video von Arnulf Baring aus dem Jahre 1983 stößt er auf eine Talkshow, die ihn nachgerade fassungslos zurücklässt.


Olaf Scholz war mal fett.

Zugegeben, eine Schönheit war er wohl nie, aber damals, im Herbst 2003, da war er auch für seine Verhältnisse ungewöhnlich unattraktiv.

Er war Generalsekretär der SPD, die Schröder-Partei war Koch in der ersten bundesweiten rot-grünen Regierung.

Und er, der Olaf- undenkbar damals- ist heute unser Kanzler.

Zu jener Zeit entstand sein zweifelhafter Kosename „Scholzomat“, den er zu Recht bis heute wie einen Kaugummi am Revers tragen muss, da er nichts dafür tut, ihn loszuwerden.


Damals, bei der blonden Sabine Christiansen, deren auch 2003 schon ältliches Fernsehformat bis heute, wenn auch unter anderem Namen, beibehalten wurde, legte er den Grundstein für sein Image.

Den Job als Parteizentralen-Chef war er schnell los, er gilt bis heute als einer der schlechtesten Generalsekretäre aller Zeiten (SchleGaZ) bei der SPD, da sein Temperament sich in gar keiner Weise eignete, irgendwas, geschweige denn Massen, zu bewegen.

So weit, so bis heute. So weit, so Merkel.


In der genannten Talk-Runde versackten damals noch der Hamburger „Erste Bürgermeister“ Ole van Beust, dem Scholz dann irgendwann in dessen Amt nachfolgte, der nämliche Arnulf Baring, ein Gelehrter, der mit seiner Performance heute nirgends mehr eingeladen werden würde, war er doch für seine klugen, treffenden und diskussionswürdigen Sentenzen bekannt, denen ein Talkshow-Redakteur heutiger Prägung mangels Vertrauen in die Bildung seiner Zuschauer einen Zugang in sein Heiligtum Laber-Runde nicht mehr gewähren würde. Natürlich der damals unvermeidbare Oskar Lafontaine, der in diesen Tagen mal wieder mit seiner Holden eine neue Partei gründet, einzig, um der alten weh zu tun und der dieser Kolumne seinen Namen gebende Michel Friedmann, einer Figur seiner Zeit, eigentlich Rechtsanwalt, was ihm offenbar eher missfiel und er deswegen dauerpalavernd damals von gefühlt jedem Sender eine eigene Show angeboten bekam, bis er sich und uns die Existenz der Ukraine weit vor der Zeit dokumentierte, beorderte er doch zwei Prostituierte aus diesem Land damals in ein Hotelzimmer, um Zeit mit den Frauen zu verbringen. Dies tat er nicht unter seinem weiland klingenden Namen, er entblödete sich ein Synonym zu nutzen und presste seinem Broca-Areal den seiner Ansicht nach unverdächtigen Namen Paolo Pinkel ab.

Was rauskam, er für eine Zeit alles an Reputation verlor, was er meinte zu haben, um darstellungssüchtig, wie er nun mal war, wenige Zeit später, per Selbstläuterung bei der blonden Ex-Stewardess in ihrer Sendung auftauchte. Heute auch undenkbar.


Das war es dann aber auch schon, was heute undenkbar ist.

Ein kluger Professor und ein Nuttenpreller.



Der Rest nimmt sich, schlösse (Konjunktiv II) man die Augen, aus wie ein Talk vom letzten Sonntag. Was aber nicht sein kann, da ja nach ARD-Lesart im Sommer keine Politik existiert und die heutige Moderatorin ja an 17 Wochen frei hat. Bei natürlich vollem und sehr reichen Lohnausgleich.


Thema der Sendung war ein im weitesten Sinne immer nutzbares: „Politikverdruss“.


Festgestellt wurde es anhand einer Kommunalwahl in Brandenburg, bei der die Wahlbeteiligung deutlich unter 50 % lag.

Da fällt mir ein, ich vergaß den damaligen Christian Lindner-Darsteller namens Westerwelle, der auch der Quasselrunde beiwohnte, der mir aber nicht einfiel, weil er nicht auffiel.


Munter erklärten uns die Politiker in der Runde, wie sie ab morgen kommende Probleme vorhätten anzugehen, die wir alle ohne sie gar nicht hätten.


Es ging um eine Gesundheitsreform, eine Arbeitsmarktreform, den kranken Mann Europas, einen versagenden Kanzler, die alles besserkönnende Opposition, das Mäkeln der Experten bei gleichzeitigem Verweis ins Reich der Träumerei, moderiert von einer Blondine, deren leicht gelangweilte Intonation (geschlossene Augen) der brunetten Anne Will von heute verwandt erscheint.


Nicht ein einziges der vor 20 Jahren angesprochenen Themen scheint angegangen, geschweige denn gelöst, die Alterskohorte war damals so auf den Lippen wie heute, die Unbezahlbarkeit des Rentensystems war bekannt, die Bürgerversicherung war ein Thema, der Wahnsinn im Gesundheitswesen, die unsinnigen Verirrungen des kapitalistischen Ansatzes des shareholder value, Bürokratieabbau, der Evergreen verbaler Politikerergüsse war ebenso in Empörungssimulation verfaselt, wie das Monster EU.


Egal, was immer besprochen wurde: es war, ist und wird Thema sein.


Als Service biete ich hier Zugang zu dieser Sendung an:



Nun wäre ich nicht ich, wenn ich nicht ein paar steile Thesen in der Hülle von Fragen zum Besten gäbe:


Warum ändert sich nichts an diesen kommunikativen Sackgassentrips?

Warum jammert das Land über Stillstand bei so großer Liebe zum Stillstand?

Warum sind alle überfordert und reden permanent von Reformen?

Warum sagen Viele, mir geht es gut, den anderen aber nicht?

Warum ging man nicht mehr zur Wahl, tut es aber heute massenhaft mehr?

Ist das Demokratie?

Nein, unser System heißt Bräsigkeit. Oder Bräsokratie. Klingt besser.


Deutschland und die Deutschen sind keine Revolutionäre.

Wir verändern nichts von selbst. Bei uns müssen Kriege passieren.

Mindestens aber Gorbatschows.

Von selbst bliebe alles beim Alten. War ja nicht alles schlecht und so.

Deutsche sind kleinen Mutes.

„Das haben wir schon immer so gemacht“ bis hin zum „bringt doch eh nix“ sind Stehsätze unserer Nation.

Die großen Verdienste der Deutschen entspringen aus der schlechten Laune dieses Volkes. Nur mit schlechter Laune sind Ingenieure denkbar. Sie tüfteln und feilen bis das Gute besser ist. Architekten jedoch bringt dieses Volk nicht hervor. Denn Architekten haben eine Vorstellungskraft von der Zukunft.

Ingenieure sind Gegenwartsgesellen.


„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“

Ein katastrophaler Satz Helmut Schmidts wird in diesem Land bejubelt.

Jeder, der den Menschen sagt, es muss sich nichts ändern, wird in Deutschland für gut befunden.

Das ist einer der Gründe für das seltsame Hoch des AfD-Gesocks.

Jeder, der das Gegenteil tut, wird abgestraft.

Und selbst wenn wie nach Kohl und jetzt nach Merkel nachgewiesen und bestätigt wird, dass Untätigkeit strafwürdig ist, zuckt der laue Michel mit den Schultern und schiebt den dritten Stehsatz seiner Nationalität nach:

„Was will man machen, da kann man nichts machen“.


So gesehen ist es logisch, wenn ein Fernsehformat wie Christiansen/Will ein Vierteljahrhundert vor sich hinsendet, wie in diesem Falle sogar mit identischem Inhalt.

Nämlich keinem.

Wo die einzige Veränderung die Haarfarbe der Moderatorin ist.

Wo Politiker vom Staat wie von einem Privatmenschen sprechen und immer noch glauben machen wollen, dass, wenn es der Wirtschaft gut gehe, gehe es auch Allen gut.


Die Menschen aber, die nur gelernt haben, der inneren Obrigkeit zu gehorchen, merken immer mehr, dass das nicht stimmt.

Deswegen sind sie nicht nur schlecht gelaunt, das sind sie ja gewohnt, nein, sie sind wütend und unruhig und wollen nicht glauben, dass sie beschissen werden.

Haben aber nichts anderes gelernt, als zu gehorchen und sehen nun Niemanden mehr, dem sie ihr eigenes Glück anvertrauen können.

Selbst wenn sie die Zivilversager der AfD wählen wollen:

an die glaubt Michel erst recht nicht, deswegen wählt er sie ja.

Paradoxe sind oft logisch!


Außer Romantik und Verklärung oder Aggression und Verleumdung hat Michelchen nicht viel zu bieten.


Und so ist diese Sendung Christiansen/Will eine Blaupause für die Unfähigkeit Deutschlands, Veränderungen anzugehen und Nachteile als Chance zu nutzen.

Und Anne Will, die Dunkle, sagt nicht, Sie geht, und geht.

Nein, sie sagt, sie geht. Und bleibt.

Und geht dann ein Jahr später. Und die Neue? Ist eine Alte.

Damit sich nichts ändert und der Nachfolger von Christian Lindner Dinge vom freien Spiel der Kräfte und Autonomie und Selbstreinigung und all diesen Quatsch von sich geben kann und sich somit die immer gleichen Kleinbürgereliten, nichts anderes sind diese Runden, die Plätze in den Laber-Gesellschaften warmhalten.

Und so auch weiterhin Probleme dieses Landes nicht angegangen, wohl aber umfänglich besprochen werden. Nicht!


Das größte Problem Deutschlands heißt Armut.


Schon heute sind 30 % arm. Tendenz steigend.

Studenten. Alleinerziehende. Kinderreiche. Rentner. Oh ja. Die auch.

Und, wichtig: Zukünftige!




25 % der Vollzeitarbeitenden beziehen Mindestlohn.

2000 Euro brutto im Monat. Brutto!

Tendenz: eben!

Dass die SPD dafür nicht gefeiert wird, versteht nur sie selbst nicht.


Ohne diese am Rande ihrer Existenz taumelnden Menschen hätten die Kleinbürgereliten der Fernsehstudios keine Pizza an der Haustüre, keine Spätis in ihren Kiezen, keinen Lieferando-Amazon-Müll, der nur bestellt wird, weil Ihnen langweilig ist.

Kein Brötchen beim Becker, keiner, der der Granny die Bettpfanne ausleert.

Doch gesprochen wird in diesen Runden über Waffenlieferungen, Kevin Kühnert und die Pimmel-Raketenbauer Musk und Bezos.

Schulterzucken: „Wat willze machen?“


Nie hatten die großen Parteien weniger Mitglieder, aber nie waren ihre Stäbe, vom Michel finanziert, größer und teurer.

Nie waren unsere Parlamente voller, nie hatten die Gewählten weniger zu sagen.

Nie beteiligten sich weniger an dieser Parteiendemokratie als heute, nie propagieren diese Runden genau diese Parteiendemokratie als Fetisch des 21. Jahrhunderts.

Mit Demokratie wird alles gerechtfertigt. Dabei geht es nur um Karrieren.


Unser Grundgesetz ist fast so alt wie meine Mutter.

Von der verlangt auch keiner mehr, sie solle Dinge können wie mit 40.

Wir müssen die Grundlagen unserer Gesellschaft neu erfinden.

Nur ein paar wenige Länder sind im Schnitt älter als wir. Weltweit.

Bei der nächsten Bundestagswahl werden so wenig Erstwähler wählen wie noch nie in der unserer Geschichte. Und auch so viele Rentner wie noch nie.

Die Sätze der konservativen Ikonen Adenauer und Blüm, beides Herz-Jesu-Christen vom Rhein, waren Lügen: „Jeboren wird immer“ und „die Rende is sischä“.

Dann kam, auch vom Rhein, Birne Kohl und log etwas von blühenden Landschaften.

Die Scheiße aufräumen mussten immer die Sozen, die dann ihre eigene Politik hintanstellen mussten.

Sie können sich meines Mitleids aber nicht sicher sein.

Brandt-Schmidt-Schröder-Scholz. Besser wird’s nicht. Hauptsache Regierung.

Und eigentlich war nur Brandt ein Sozialdemokrat.

An ihren Taten sollst Du sie erkennen.


Ist das also systematisch?

Ich denke ja.

Deutschland ist ein Land, das sich genauso verdient hat.

Und wenn wir uns ändern wollen, können wir ja damit beginnen.

Nur drehen wir es diesmal um.

IHR DA OBEN, ja, Ihr, die Ihr Euch überlegen wähnt, Ihr fangt jetzt mal an.

Arbeitet jetzt mal endlich an den Problemen dieses Kapitalismus.

Sprecht mal mit Eurem Volk nicht über Symptome, sondern über Gründe.

Nehmt Ihnen die Angst, statt sie zu befeuern.

Dafür braucht Ihr die Medien.

Benutzt sie, statt sie zu missbrauchen.


Lasst Empörung zu.

Denn deswegen gibt es keine Linke mehr. Es ist niemand mehr empört.

Die, die es sein müssten, ersticken in Arbeit, die, die keine Empörung mehr spüren oder aber nie spürten, haben nur Angst um sich und ihren Wohlstand und glauben, man könne nichts machen.


„Wenn man einen Sumpf trockenlegen will, sollte man nicht die Frösche fragen“.

Ein Satz, den der Untote Fritze Merz weiland mal ins Volk ballerte.


Die Frösche der Talk-Runden, die seit Dekaden das Land lähmen, erfüllen im Sinne der Kapitaleigner ihren Job besser, als von denen jemals erträumt.


Und noch ein Satz für die Geschichtsbücher:

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ bekommt, angewendet auf diese organisierte Bürgertäuschung namens Polittalk, nur einen Sinn:


Schafft sie ab!


Sendet Dokumentationen, Reportagen, Gespräche mit Betroffenen, Kultur.

Überrascht Euer Volk. Traut Ihnen mal was zu. Überfordert sie sogar.

Das alles gibt es längst, absichtlich verdrängt in Nischen und Kämmerchen bei ttt, 3sat und arte.

Und nur Kundige finden das. Nur Kundige wissen das alles aber auch schon längst.

Das ist nicht Vielfalt. Das ist absichtliche Täuschung und Vertuschung.

Der Michel soll Rosenheim- und Nonnengeschichten glotzen.


Der Umbau der Gesellschaft kann nur über Medien moderiert werden.


Und hier nur über die des öffentlichen Rechts, denn nur die haben eine Finanzierungsgarantie.


Doch statt das Neue zu denken, beschäftigt man sich absehbar in der laufenden Dekade mit sich selbst. Zukunft wird so nicht gemacht. Es wird gespart.


Es kann sein, dass wir in diesen Tagen für Vieles die letzten Chancen aufrufen.

Doch diesmal richtet es sich nicht an den Michel.

Der kann da tatsächlich nichts machen.


Jetzt müssen die Eliten, die Frösche, die Tümpel-Oligarchen, liefern.

Denn nirgends geht das einfacher als in den Medien.

Nicht mit den Kaulquappen des eigenen Tümpels, das ist wohl wahr.

Die wollen Frösche werden und selber Pfründe haben.

Es geht nur mit radikalen Veränderungen, also an den Wurzeln.

Das kann keiner von den Fröschen.

Aber von Außen wird nichts kommen, da Radikalismus im Denken keine Daseinsform in Deutschland ist.

Ja, das klingt hoffnungslos.

Aber sagt nicht, Ihr hättet es nicht gewusst.


In 20 Jahren wird es das alles nicht mehr geben.

Aber das Neue eben auch nicht.

In 20 Jahren wird Verwahrlosung die akzeptierte Lebensform sein.

In 20 Jahren werden die in ihrer Zahl drastisch geschrumpften aber ungerupften Eliten weiter um ihre Pfründe kämpfen.


Und die Meisten, wir, werden gar nichts mehr machen.


Das muss nicht sein. Aber jetzt!


Denn Paolo pinkelt dann, 87jährig, ohne es zu wollen!

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